Normen und Prozesse in der Medizintechnik für Neulinge

„MDR“, „MPG“, „60601“ und „62304“: Erfahrene Kollegen werfen bei der Entwicklung medizinischer elektrischer Geräte ständig mit diesen Begriffen um sich. Für einen Neueinsteiger in diesem Bereich sind die Normen und Gesetze schnell verwirrend.

Im folgenden Artikel möchte ich Ihnen einen Überblick über den aktuellen (Stand: Januar 2021) gesetzlichen und normativen Rahmen geben und die wichtigsten Normen und Gesetze kurz aufführen, damit Sie sich als Neueinsteiger einen Überblick verschaffen können.

Gesetze, Verordnungen, Richtlinien

Beginnen wir mit dem gesetzlichen Rahmen, hier gibt es folgende wichtige Begriffe: MPG, MDD, MPDG und MDR.

MPGMedizinproduktegesetz

Dieses Gesetz regelt in Deutschland Entwicklung, Vertrieb und Gebrauch von Medizinprodukten und soll „für die Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritter sorgen“.[1] Es ergänzt und ist die nationale Umsetzung der europäischen Richtlinien:
• Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (engl. Medical Device Directive – MDD)
• Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (IVDD)
Im Zuge der Umstellung von der MDD und IVDD auf MDR und IVDR wird es demnächst abgelöst durch das MPDG.

MPDGMedizinprodukterecht-Durchführungsgesetz

Das MPDG soll ab 26. Mai 2021 schrittweise das MPG ablösen und regelt und ergänzt die nationale Umsetzung der MDR in Deutschland. [2]

MDR – Medizinprodukteverordnung, Medical Device Regulation – Verordnung (EU) 2017/745

Die MDR ist der Versuch der EU die Zulassung und Vertrieb von Medizinprodukten in der EU zu vereinheitlichen.[3] Es gibt dazu jede Menge Informationen auf der Seite der EU.[4] Die Einführung soll nach aktuellem Stand zum 26. Mai 2021 in Kraft treten mit einer Übergangsfrist bis 2024.

Eine Übersicht zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen und weitere Informationen finden Sie auch in unserem Artikel: MDD, MPG und Co.

Behörden

Bei der Zulassung von Medizinprodukten sind oftmals auch Behörden beteiligt:

BfArM – Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Das BfArM ist nach eigener Aussage zuständig für Zulassung, Verbesserung der Sicherheit von Arzneimitteln, der Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten und der Überwachung des Betäubungsmittel- und Grundstoffverkehrs.[5] Vorkommnisse werden übrigens auch an das BfArM gemeldet und können in einer Datenbank recherchiert werden. Das kann interessant sein, um sich über häufige Fehler einer Produktgruppe zu informieren.

FDA – Food and Drug Administration

Die FDA ist die für die USA zuständige Zulassungsbehörde für Medizinprodukte. Die FDA bietet viele Guidance Dokumente an, die bei der Entwicklung und Zulassung berücksichtigt werden sollten.

Ihr Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Martin Bosch, Gesellschafter, Hardware-Entwickler
E-Mail: bosch@medtech-ingenieur.de
Tel.:  +49 9131 691 241
 

Benötigen Sie Unterstützung bei der Entwicklung Ihres Medizingeräts? Wir helfen gerne! Die MEDtech Ingenieur GmbH bietet Hardware-Entwicklung, Software-Entwicklung, Systems Engineering, Mechanik-Entwicklung und Beratung aus einer Hand. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf.

Kontakt aufnehmen

Produktnormen

Im Bereich der elektrischen medizinischen Geräte gibt es zwei grundlegende Sicherheitsnormen:

IEC 60601

Die IEC 60601-1 ist die Norm für allgemeine Anforderungen an die Sicherheit und die wesentlichen Leistungsmerkmale von medizinischen elektrischen Geräten. Die -1 ist die Basisnorm der 60601 Normenfamilie, zu der es jede Menge Ergänzungsnormen und Besondere Festlegungen gibt. Über diese Normenfamilie haben wir schon einen Artikel verfasst, auf den ich hier verlinken möchte: IEC 60601-1 – Wie hängen Basisnorm, Ergänzungsnormen und Besondere Festlegungen zusammen?

Auf dem Blog findet man zu speziellen Themen der 60601 wie Isolationsdiagramme oder EMV-Anforderungen noch weitere interessante Artikel. Nutzen Sie dazu einfach die Suchfunktion.

IEC 61010

Die IEC 61010-1 ist die Norm für Sicherheitsbestimmungen für elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte. Wie bei der 60601 handelt es sich um eine Normenfamilie, bei der die Grundnorm ergänzt wird durch Besondere Festlegungen. Diese Norm wird hier aufgeführt, weil medizinische In-Vitro-Diagnostik (IVD)-Geräte Laborgeräte sind, die nach dieser Norm entwickelt und zugelassen werden.

ISO 10993

Die ISO 10993 ist die Normenreihe für Beurteilung der Biokompatibilität. Biokompatibilität bedeutet, dass Stoffe, die mit dem Anwender oder Patienten in Berührung kommen, diesen nicht schädigen, also bestimmte Anforderungen für Toxizität und Allergene erfüllen müssen.

Prozessnormen

ISO 13485

Die ISO 13485 legt Anforderungen fest für das Qualitätsmanagementsystem von
Organisationen „für Design und Entwicklung, Produktion und Installation sowie die Instandhaltung von
Medizinprodukten“. In dem Artikel ISO 13485 – Was steht da eigentlich drin? finden Sie noch mehr zur ISO 13485.

ISO 14971

Die ISO 14971 beschreibt Anforderungen an Risikomanagement. Der Risikomanagementprozess ist ein zentraler Bestandteil jeder Medizinproduktentwicklung. Auch die Prozesse der Organisation im Rahmen der ISO 13485 werden bezüglich ihrer Risiken bewertet nach der ISO 14971. Im Artikel Die dritte Ausgabe der ISO 14971 werden die Inhalte und Änderungen in der aktuellen (dritten) Ausgabe beschrieben.

IEC 62304

Die IEC 62304 befasst sich mit Software-Lebenszyklus-Prozessen für medizinische Software. Diese Norm betrifft jede Software in einem Medizinprodukt und stellt Anforderungen an Dokumentation und Entwicklungsprozesse. Die Anforderungen, die sich aus der IEC 62304 sind recht umfangreich und betreffen z. B. auch Legacy Software. Speziell zu diesem Thema haben wir schon einen Artikel im Blog: Umgang mit Legacy Software nach IEC62304 
Falls Sie Fragen dazu haben, können Sie sich gerne melden.

IEC 62366

Die IEC 62366 stellt Anforderungen zur Validierung der Gebrauchstauglichkeit (Usability) von medizinischen Geräten. Zum Erreichen der Gebrauchstauglichkeit gibt es auch Anforderungen an den Prozess und die Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen.

Dieser Artikel gibt nur einen kurzen Überblick über wesentliche Normen und Begriffe, die einen Einsteiger in die Entwicklung elektrischer medizinischer Geräte erwarten. Noch dazu kommen dann jeweils Normen für bestimmte Produkte, Märkte und – was immer wichtiger wird – Security und IT-Sicherheit. Zu diesen Themen werden wir sicher in Zukunft noch mehr schreiben.

Schreiben Sie uns Kommentare oder eine E-Mail, falls Sie Fragen oder Anmerkungen zu dem Artikel haben. Ich freue mich über Rückmeldungen und Erfahrungsaustausch.

Quellen

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/mpg/BJNR196300994.html, Stand 14.01.2021

[2] https://www.buzer.de/gesetz/13935/b36081.htm, Stand 14.01.2021

[3] https://lexparency.de/eu/MDR/, Stand 14.01.2021

[4] https://ec.europa.eu/health/md_sector/overview_en, Stand 14.01.2021

[5] https://www.bfarm.de/DE/BfArM/_node.html, Stand 14.01.2021

Kontaktieren Sie uns!

Autor

  • Martin Bosch

    Martin Bosch ist ein Vollblut Hardware-Entwickler und lebt seine Leidenschaft für Elektronik-Entwicklung in der MEDtech Ingenieur GmbH aus. Sein Schwerpunkt der Entwicklung von Embedded Elektronik für medizinische Anwendungen. Embedded Elektronik bedeutet hierbei den Entwurf von Leiterplatten und Schaltungen mit Mikrocontrollern und analoger Schaltungstechnik für verschiedenste Geräte, von Blutanalyse-Geräten bis zu Defibrillatoren.

Auch interessant:

Kalibrierung – DakkS oder ISO?

Lassen Sie Ihre Messgeräte kalibrieren? Wissen Sie, worauf dabei geachtet werden sollte? Im Rahmen unseres QM-Systems nach ISO 13485 haben wir auch einen Prozess für Mess- und Prüfmittel und kalibrieren einige unserer wichtigen Messmittel. Wir entwickeln neue Schaltungen. Dies geschieht zuerst theoretisch mit Bleistift und Simulation. Anschließend werden die Schaltungen…
Getagged mit: , , , , , ,