Ableitströme in medizinischen Geräten

Martin Bosch

08/22/2019

Ein wichtiges Thema in unserer täglichen Arbeit ist die Sicherstellung der elektrischen Sicherheit der Geräte, die wir entwickeln. In anderen Artikeln wurde schon viel über elektrische Sicherheit und Isolationsdiagramme (Teil 1 und Teil 2) geschrieben. In diesem möchte ich näher auf die verschiedenen Ableitströme, die Bedeutung der Ableitströme für die Sicherheit und schließlich auf die Tests der Ableitströme eingehen.

Was ist ein Ableitstrom?

Als Ableitstrom werden Gleichströme (DC) oder Wechselströme (AC) bezeichnet, die:

  • durch den Schutzleiter fließen.
  • über den Patienten gegen Erde fließen.
  • durch den Anwender gegen Erde fließen.

Gleichströme können fließen, wenn zeitgleich mehrere leitfähige Flächen mit unterschiedlichen Potentialen berührt werden. Das können z. B. elektrische Geräte, Möbelstücke, Patientenliegen oder andere leitfähige Teile sein.
Wechselströme können über parasitäre Kapazitäten fließen. Für den Patienten wird eine parasitäre Kapazität gegen Erde angenommen im Bereich von 5 – 200 pF (sh. Human body model: 150 pF in der EN 61000-4-2 als repräsentative Kapazität des menschlichen Körpers).

Geräte können so konstruiert sein, dass Ableitströme innerhalb des Gerätes auf den Schutzleiter abgeleitet werden. In diesem Fall spricht man von Klasse 1 Geräten. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass im Fehlerfall eines unterbrochenen Schutzleiters höhere Ableitströme auftreten. Dies bezeichnet man dann in der Medizintechnik als ersten Fehler (single fault condition). Die Ableitströme werden auch für verschiedene erste Fehler gemessen, wie z. B. unterbrochenen Schutzleiter, Unterbrechung der Leiter, Netzspannung am Patienten und andere.

Bedeutung für die menschliche Sicherheit

Ableitströme können verschiedene negative Auswirkungen haben, darunter elektrische Stimulationen, Verbrennungen oder andere Verletzungen des Patienten. Daher müssen Medizinprodukte strenge Sicherheitsstandards erfüllen, um sicherzustellen, dass sie die elektrische Sicherheit gewährleisten.

In der Medizintechnik gilt der Patient als besonders schutzbedürftig aus mehreren Gründen:

  • Der Patient kann mit mehreren Medizingeräten gleichzeitig verbunden sein.
  • Der Patient kann bewusstlos sein.
  • Der Patient kann sediert oder narkotisiert sein.
  • Der Patient kann durch offene Wunden oder während einer Operation eine höhere Leitfähigkeit aufweisen.

Wie die obigen Punkte zeigen, können Schutzreflexe aufgehoben sein.
Die Auswirkung von Strömen auf den Körper ist abhängig von

  • Höhe des Stromes
  • Dauer des Stromflusses
  • Weg des Stromes durch den Körper (Hand zu Fuß oder Hand zu Hand, …)

Bei 230 V gilt ungefähr eine Impedanz von 1000 Ohm für 50 % der Bevölkerung bei 50 / 60 Hz (Hand zu Hand, bei großer Übertragungsfläche, sh. IEC 60479).

Besonders gefährlich ist ein Stromfluss durch das Herz, da jeder Strom durch das Herz eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt, Herzkammerflimmern hervorzurufen (sh. 60601-1, Bild A.14).

Für allgemeine Auswirkungen von Strom auf den Körper gibt es die bekannten Diagramme zur Loslassschwelle und Flimmerwahrscheinlichkeit bei Stromunfällen:

Zeit/Stromstärke-Bereiche für AC nach IEC/TS 60479-1 mod. mit c1 als Flimmerschwelle und Auslösepunkte eines Fehlerstrom-Schutzschalters (Quelle: Eisenbahn%s, Strom-zeit-diagramm AC RCD, CC BY-SA 4.0)

In der 60601-1 werden folgende Ableitströme unterschieden:

  • Erdableitstrom, der vom Netzteil in den Schutzleiter fließt.
  • Berührungsstrom, früher noch als Gehäuseableitstrom bezeichnet.
  • Patientenableitstrom
    • Abhängig von der Klassifizierung des Anwendungsteils (z. B. Anwendungsteil Klasse BF 100 µA im Normalfall, 500 µA im ersten Fehler)
    • Netzspannung am Anwendungsteil
    • Anwendungsteil zu Erde
    • Netzspannung an anderen Anschlüssen (Signale, Kommunikation, Versorgung, allgemein als SIP/SOPs bezeichnet)
    • Netzspannung an leitfähigen nicht Schutzleiter-verbundenen Gehäuseteilen

Zusätzlich gibt es auch noch Patientenhilfsströme, für die auch Grenzwerte in der 60601-1 definiert sind. Patientenhilfsströme sind Ströme, die für eine Funktion des Gerätes benötigt werden und zwischen Patientenanschlüssen fließen, also z. B. ein Strom zur Impedanzmessung.

Grenzwerte für Ableitströme in der Medizintechnik sind abhängig von verschiedenen Faktoren:

    • der Klassifizierung des Anwendungsteils.
    • Ist das Gerät fest installiert oder kann der Schutzleiter unterbrochen werden?
    • Mehrfachsteckdosen werden nochmal separat behandelt und der Strom im Schutzleiter der Mehrfachsteckdose muss unter 5 mA liegen.
Grenzwerte nach EN 60601-1
Klassifizierung des Anwendungsteils Typ B Typ BF Typ CF
Gerätezustand N.C. S.F.C. N.C. S.F.C. N.C. S.F.C.
Erdableitstrom, Gerät nicht fest installiert 5,0 10,0 5,0 10,0 5,0 10,0
Berührungsstrom 0,1 0,5 0,1 0,5 0,1 0,5
Patientenableitstrom 0,1 0,5 0,1 0,5 0,01 0,05
Anmerkungen Tabelle für AC
Alle Ströme in mA
N.C.: Normal Condition, Normalzustand
S.F.C.: Single Fault Condition, Erster Fehler

 

Messung der Ableitströme

Die Messung der Ableitströme kann entweder mit speziellen Messgeräten erfolgen, von Herstellern wie z. B. Fluke, Gossen Metrawatt oder Rigel. Man kann in der Entwicklung die Ströme auch leicht selber messen durch Nutzung eines Measuring Devices mit einem Oszilloskop oder True RMS Multimeter.

Das Messgerät sollte eine Bandbreite bis 1 MHz haben. Der Eingangswiderstand sollte 1 MOhm betragen und die Eingangskapazität max. 150 pF.

Die Tests werden bei 110 %, der höchsten bemessenen Netzspannung, durchgeführt und bei der höchsten Versorgungsnetzfrequenz. Das bedeutet, wenn ein Gerät für 115 V/60 Hz und 230 V/ 50 Hz bemessen ist, sollten die Tests mit 253 V / 60 Hz durchgeführt werden.

Fazit

Ableitströme müssen in der Entwicklung berücksichtigt werden, vor allem auch die möglichen Fehlerfälle. Frühzeitige Berücksichtigung der Fehlerfälle in Bauteilen, Isolation und Masse-Anschlüssen sorgt für sichere Designs und geringere Risiken für Anwender und Patienten. Der Artikel zeigt nur allgemeine Anforderungen, prüfen Sie im Einzelfall die Grundnorm und die besonderen Festlegungen für Ihr Gerät.

Falls Sie Fragen oder Anmerkungen haben, schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an. Wir freuen uns über Rückmeldungen und diskutieren gerne über Themen der elektrischen Sicherheit in der Medizintechnik und besonders über Ihre Anwendung.

Viele Grüße
Martin Bosch

 

Quellen, soweit nicht schon im Text angegeben:

DIN EN 60601-1:2013-12


Geschrieben von Martin Bosch

Martin Bosch ist ein Vollblut Hardware-Entwickler, der seine Leidenschaft für Elektronik bei der MEDtech Ingenieur GmbH verwirklicht. Sein Fachgebiet umfasst die Entwicklung von Embedded Elektronik, speziell für medizinische Anwendungen. Dabei liegt sein Fokus auf dem Design von Leiterplatten und Schaltungen, die sowohl Mikrocontroller als auch analoge Schaltungstechnik integrieren. Diese kommen in einer Vielzahl von Geräten zur Anwendung, von Blutanalysegeräten bis hin zu Defibrillatoren.


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