Elektrische Sicherheit in der Medizintechnik nach 60601-1

Die Sicherheit elektrischer medizinischer Systeme ist ein großes Thema, das uns alle betreffen kann. So gut wie jeden Tag werden auf der Homepage des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Rückrufe und Hinweise für medizinische Geräte veröffentlicht. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zulassungsbehörden bei medizinischen Produkten, die in der Regel an schon geschwächten Patienten benutzt werden, besondere Anforderungen an die Sicherheit stellen. Diese Anforderungen nach dem Stand der Technik sind dokumentiert in verschiedenen Normen. Dieser Artikel befasst sich mit den Anforderungen der IEC EN 60601-1 (VDE0750-1) mit dem Titel „Medizinische elektrische Geräte – Teil 1: Allgemeine Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der wesentlichen Leistungsmerkmale“. Diese Norm beschreibt also die Sicherheit von medizinischen elektrischen Geräten im Patientenbereich, also Geräten, die am Patienten verwendet werden oder in einem Bereich von ca. 1,5 m um den Patienten.

Ihr Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Martin Bosch, Gesellschafter, Hardware-Entwickler
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Die 60601-1 behandelt die Basissicherheit und die wesentlichen Leistungsmerkmale, wobei bei der Basissicherheit auch Brandschutz, mechanische Risiken, usw. behandelt werden. In diesem Artikel soll es um die elektrische Sicherheit von Medizingeräten gehen.

Elektrische Sicherheit nach 60601-1

Die elektrische Sicherheit von Medizinprodukten setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:

  1. Begrenzung von Ableitströmen
  2. Schutz gegen elektrischen Schlag
  3. Isolierung der Anwendungsteile
  4. Potenzialausgleich
  5. Sicherheit in medizinischen elektrischen Systemen

Die Bedeutung dieser Punkte für die Entwicklung elektrischer medizinischer Geräte soll im Folgenden beschrieben werden.

Begrenzung von Ableitströmen

Ableitströme sind Ströme, die in der Regel unbeabsichtigt auftreten und auf unerwünschten Strompfaden fließen. Dabei sind sie aber nicht zu vermeiden, sondern müssen sorgfältig in der Entwicklung berücksichtigt werden, um sie unter Kontrolle zu halten. Die Ursache von Ableitströmen sind z.B.

  • Kapazitive Strompfade, die sich aufgrund der Wechselspannung zwischen verschiedenen Schaltungsteilen bilden.
  • Einkopplung von Störungen in Masseschleifen.
  • Filterkondensatoren gegen den Schutzleiter.

Es werden verschiedene Ableitströme in der 60601-1 unterschieden:

  • Patientenableitstrom

Der Patientenableitstrom fließt vom Anwendungsteil, das ist der Teil der Schaltung, der direkt mit dem Patienten verbunden ist.

  • Berührungsableitstrom (früher Gehäuseableitstrom)

Die maximal erlaubten Berührungsströme werden definiert für normale Benutzung und den ersten Fehlerfall. Sie haben einen deutlich niedrigeren Wert für den Patienten, als dies für normale Nutzer erlaubt ist, da dieser als geschwächte Person angesehen wird und dauerhaft mit dem Gerät verbunden ist. Aus dem alten Namen Gehäuseableitstrom sieht man auch schon einen Weg, über den diese Ableitströme fließen können.

In der 3. Ausgabe der 60601-1 wird der Begriff Gehäuseableitstrom durch Berührungsstrom ersetzt. Es gibt weitere Ableitströme über den Schutzleiter-Anschluss und über den Patientenanschluss.

  Normalfall Erster Fehler
Max. erlaubter Berührungsstrom 100 µA 500 µA

Die oben genannten Werte sind Effektivwerte für den Berührungsableitstrom. Patientenableit- und Patientenhilfsströme können deutlich niedriger sein, abhängig von der Klassifizierung des Anwendungsteils.

  • Erdableitstrom

Das ist der Strom vom Netzteil in den Schutzleiter, z.B. über Filterkondensatoren. Dieser Strom darf im Normalzustand 5 mA betragen, was weniger ist als in anderen Sicherheitsnormen.

In der Regel werden die Ableitströme mit einer in der Norm definierten Schaltung gemessen, dem sogenannten Measuring Device. Das Measuring Device stellt einen Tiefpass dar, sodass höhere Frequenzen entsprechend ihrer reduzierten physiologischen Wirkung gedämpft werden. Allerdings darf kein Ableitstrom einen Effektivwert von 10 mA übersteigen, wenn er frequenzunabhängig gemessen wird.

Schutz gegen elektrischen Schlag

Dieser wird sichergestellt durch die korrekte Klassifizierung des Geräts (abhängig von der Versorgung) und wird gewährleistet durch die Isolationsstrecken. Auch hier muss das Gerät im ersten Fehler sicher sein. Deshalb müssen alle Isolationsstrecken aus mindestens 2 Schutzmaßnahmen aufgebaut sein, die beide der Nennbelastung standhalten. Im Fehlerfall wird davon ausgegangen, dass nur eine Schutzmaßnahme ausfällt und der Anwender bzw. Patient noch durch eine Maßnahme vor elektrischem Schlag geschützt wird.

Klassifizierung des ME-Geräts Erklärung
Schutzklasse I Geräte mit schutzleiterverbundenem Gehäuse als zusätzliche Schutzmaßnahme
Schutzklasse II Geräte ohne Schutzleiteranschluss, der Schutz gegen elektrischen Schlag ist durch eine zusätzliche Maßnahme gewährleistet (doppelte oder verstärkte Isolierung).
Intern mit Strom versorgt Geräte ohne Netzanschluss

Dokumentiert wird der Schutz gegen den elektrischen Schlag im Isolationsdiagramm.

Isolierung der Anwendungsteile

Die dritte Komponente ist die Klassifizierung des Geräts nach Anwendungsbereich, auch Typklassifizierung genannt. Hier werden die Geräte entsprechend ihrem Anwendungsbereich in verschiedene Klassen eingeteilt und müssen entsprechend der Klasse unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Zum Beispiel wird bei einem externen EKG-Monitor ein Anwendungsteil des Typs BF gefordert. Das bedeutet, dass die Ableitströme einen gewissen Wert nicht überschreiten dürfen, da das Gerät dauerhaft an den Patienten angeschlossen ist und dass das Anwendungsteil galvanisch getrennt sein muss.

Klassifizierung des Anwendungsteils Erklärung
Typ B

TypB

Nicht für direkte Anwendung am Herzen geeignet, die Ableitströme müssen die in der Norm geforderten Werte nicht überschreiten, auch wenn eine externe Spannung (Netzspannung) an den Patientenanschlüssen anliegt.
Typ BF

BF

Galvanisch isoliertes Anwendungsteil (F steht für floating), das die Anforderungen an Ableitströme für den Typ B erfüllt.
Typ CF

Galvanisch isoliertes Anwendungsteil (F steht für floating), das noch höhere Anforderungen an Ableitströme als der Typ B erfüllt. Auch für direkte Anwendung am Herzen geeignet.
Weiterhin können die Anwendungsteile als „defibrillationsgeschützte Anwendungsteile“ klassifiziert sein und müssen mit Bildzeichen nach IEC 60417-533 gekennzeichnet werden.

Beispiel für Typ CF defibrillationsgeschützt:

Defibrillationsgeschützt

In diesem Zusammenhang ist auch das Konzept der Erstfehlersicherheit wichtig, das besagt, dass das Gerät beim ersten Fehler frei von unvertretbaren Risiken bleibt. Dies wird sichergestellt, indem die wesentlichen Leistungsmerkmale auch im ersten Fehler erfüllt werden, da deren Fehlen per Definition (60601-1 Absatz 3.27) zu einem unvertretbaren Risiko führen würde. Ein Restrisiko bleibt natürlich immer und dieses wird bewertet in einer Risiko-Analyse nach DIN ISO 14971.

Dokumentiert werden die Maßnahmen für die Isolierung der Anwendungsteile am besten wieder im Isolationsdiagramm.

Potenzialausgleich

Es gibt keine explizite Forderung nach einem separaten Anschluss für einen Potentialausgleichsleiter, aber falls ein solcher vorgesehen ist, dann werden auch in der 60601-1 einige Forderungen gestellt, z.B. dass der Leiter ohne WERKZEUG vom Anschluss abgenommen werden können muss und dass der Anschluss nicht als SCHUTZLEITERVERBINDUNG verwendet werden darf.

Die Funktion eines Potenzialausgleichs ist es, durch eine zusätzliche Maßnahme minimale Berührspannungen, die zwischen Geräten auftreten können und über den Patienten fließen, zu vermeiden. Ströme ab 10 µA können bereits physiologische Wirkungen auslösen und können durch einen zusätzlichen Potenzialausgleich vermieden werden. Zwischen verschiedenen Wandsteckdosen können auch innerhalb eines Raumes Spannungen von einigen Volt auftreten, die zu beträchtlichen Patientenströmen zwischen den Geräten führen können.

Verantwortlich für den Potenzialausgleich ist der Betreiber von medizinisch genutzten Räumen.

Sicherheit von medizinischen elektrischen Systemen

Vor 2006 wurden medizinische elektrische Systeme (abgekürzt ME-Systeme) in einer eigenen Norm behandelt, nämlich der DIN EN 60601-1-1. Mit der 3. Ausgabe der DIN EN 60601-1 wurde diese mit in die Grundnorm aufgenommen, sodass in Abschnitt 16 jetzt ME-Systeme behandelt werden.

Die Definition von medizinischen elektrischen Systemen in der 60601-1 lautet:

Kombination von einzelnen Geräten, wie vom HERSTELLER festgelegt, von denen mindestens eines ein ME-GERÄT sein muss und die durch eine FUNKTIONSVERBINDUNG oder durch den Gebrauch einer MEHRFACHSTECKDOSE zusammengeschlossen sind.

Also gilt auch schon der Gebrauch von Mehrfachsteckdosen in medizinischen Räumen als ME-System! Das wirkt sich z.B. so aus, dass die Summe der Erdableitströme aller an der Mehrfachsteckdose angeschlossenen Geräte 5 mA nicht übersteigen darf.

Auch über Funkstrecken verbundene Geräte (z.B. Bluetooth) sind ME-Systeme, sobald ein ME-Gerät beteiligt ist!

Weitere wichtige Aspekte für ME-Systeme sind:

  • Geräte im ME-System müssen die Anforderungen der für diese Geräte gültigen IEC- oder ISO-Normen erfüllen.
  • Ableitströme entsprechend der DIN EN 60601-1 müssen eingehalten werden.
  • Es gibt besondere Anforderungen der 60601-1 an Mehrfachsteckdosen.
  • Leiter, die verschiedene Teile eines ME-Systems verbinden müssen gegen mechanische Beschädigung geschützt sein.

Soweit zu den Anforderungen an elektrische Sicherheit nach der DIN EN 60601-1. Der Artikel gibt nur einen groben Überblick über die grundlegende Philosophie und kann bei konkreten Fragen niemals das Studium der Norm und die Rücksprache mit der benannten Stelle ersetzen.

Falls Sie Ideen, Fragen, Wünsche haben, schreiben Sie mir eine E-Mail. Ich freue mich über Austausch zu medizinischen elektrischen Geräten,

Viele Grüße

Martin Bosch

Weiterführende Literatur und Links:

Natürlich die Basis-Norm für die elektrische Sicherheit medizinischer Geräte: Die 60601-1, wahlweise in der Ausgabe von IEC, EN, DIN oder den weiteren Ländern, für Europa ist die aktuelle Ausgabe die EN 60601-1:2006+A1:2013.

Armin Gärtner: Medizinproduktsicherheit, Reihe Praxiswissen Medizintechnik, Band 2, TÜV-Verlag

Blog-Artikel Isolationsdiagramm in der Medizintechnik

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Autor

  • Martin Bosch ist ein Vollblut Hardware-Entwickler, der seine Leidenschaft für Elektronik bei der MEDtech Ingenieur GmbH verwirklicht. Sein Fachgebiet umfasst die Entwicklung von Embedded Elektronik, speziell für medizinische Anwendungen. Dabei liegt sein Fokus auf dem Design von Leiterplatten und Schaltungen, die sowohl Mikrocontroller als auch analoge Schaltungstechnik integrieren. Diese kommen in einer Vielzahl von Geräten zur Anwendung, von Blutanalysegeräten bis hin zu Defibrillatoren.

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