Additive Fertigung in der Medizintechnik – Regularien und Zukünftiges

Im ersten Teil des Blogs haben wir uns mit den Fertigungstechniken des 3D Drucks beschäftigt. Im zweiten Teil geht es nun um das richtige Material, damit verbundene Regularien und den Einsatz von Werkstücken aus additiver Fertigung. Zum Schluss wird noch kurz auf den Bio-3D Druck eingegangen, mit regionalem Beispiel.
 

Materialauswahl nach Norm

Druckmaterial für den 3D Druck aus der MEDtech-Fertigung

Die Berücksichtigung der materialspezifischen USP-Klasse („United States Pharmacopeia“) oder auch eine Klassifizierung nach DIN-EN-ISO-10993 ist insbesondere bei längerem Haut- oder Schleimhautkontakt von großer Wichtigkeit.

Die USP-Klassen definieren die Anforderungen an Materialien, die in Kontakt mit dem menschlichen Körper kommen, und kategorisieren sie entsprechend ihrer biologischen Reaktivität und Toxizität.

Formlabs Soft Tissue Starter Pack zur Herstellung von z.B. Zahnfleischmasken

@Formlabs „Soft Tissue Starter Pack“ zur Herstellung von z.B. Zahnfleischmasken

Die DIN-EN-ISO-10993 erweitert diese Definition zusätzlich um Medizinprodukte ohne direkten Körperkontakt. Zusätzlich werden physikalische und chemische Messungen in die Bewertungen ebenfalls mit einbezogen. Die ganzheitlichere Betrachtung führt jedoch ebenfalls zu einem deutlich höheren Aufwand. Für einen genaueren Einblick lohnt es sich, die DIN-Norm zur Bewertung von Biokompatibilität einmal zu überfliegen (WIKIPEDIA/BEUTH Verlag).

Generell gibt es abhängig vom verwendeten Herstellungsverfahren verschiedene Materialien zur Auswahl. So reicht das Spektrum im FDM-Druck von PLA über PET(G) bis hin zu PA, PP oder PC-Kunststoffen mit und ohne Glas- und Kohlefaserverstärkung. Je nach Materialhersteller gibt es diese ebenfalls mit einer FDA-konformen Zulassung.

Für SLA-Drucker werden z. B. von der Firma Formlabs ebenfalls ISO 13485 und FDA-konforme Materialien zum Druck von körpernahen Anwendungen geschaffen.
Im Bereich des SLS-Drucks ist üblicherweise eine Variante von Nylon (z. B. PA6, PA11 oder PA12) zu finden. Jedoch können auch PP oder TPU als flexible Alternative gewählt werden.
 

Einsatzfeld Medizinprodukt

Patientenspezifische Fertigung am Beispiel Kieferchirurgie

CEREC Primescan AC inkl. CEREC Pro Modul, erzeugt 3D-Modelle in echten Farben und einer hohen Auflösung

CEREC Primescan AC inkl. CEREC Pro Modul, erzeugt 3D-Modelle in echten Farben und einer hohen Auflösung

Die konventionelle Vorgehensweise, bei der ein Gebissabdruck genommen und anschließend ausgegossen wird, kann durch die Verwendung von Bilddaten ersetzt werden, die mit einem Desktop-3D-Scanner oder auch mit Daten eines CT/MRI-Scans erzeugt werden. Auf diese Weise kann ein 3D-Modell der Mundhöhle erstellt werden, das als Grundlage für die Herstellung eines passgenauen Aligners oder Retainers dient.

Die Vorteile der digitalen Abformung gegenüber der traditionellen Abformung sind vielfältig. Die Prozedur ist für den Patienten angenehmer. Die Anpassung erfolgt über ein digitales System und eröffnet damit ein hohes Automatisierungspotenzial. Auch die Weiterverarbeitung des Modells, die automatische Erstellung eines detaillierten Therapieplans und die Anpassung an die aktuelle Situation sind auf einer digitalen Plattform gegebenenfalls einfacher.

Implantate, Orthesen, Bohrschablonen, Hilfsmittel zur plastischen Veranschaulichung schwieriger chirurgischer Eingriffe, Schienen, chirurgische Instrumente, Zahnersatz und vieles mehr können nach dem gleichen Modell hergestellt werden und erleichtern so den gesamten Therapieverlauf, sowohl für den Patienten als auch für das behandelnde Personal.
Die Anpassbarkeit an den individuellen Patienten ermöglicht ein Einsatzspektrum, das seinesgleichen sucht. Um dem einzelnen Patienten in Zukunft die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen, ist es daher sinnvoll, diese Technik umfassend zu nutzen.
 

Lokale und rasche Fertigung

Durch den mobilen Einsatz von z.B. modernen FDM und SLA-Druckersystemen und deren überschaubarer Bedienung ist es relativ einfach in den einzelnen Versorgungszentren ein 3D-Druck Labor einzurichten und wichtige Gegenstände und Verbrauchsmaterial vor Ort und nachfragegerecht zu fertigen. Dies trägt dazu bei, die Transport- und Lagerkosten erheblich zu senken. Außerdem werden dadurch teils lange Beschaffungszeiten und daraus resultierende Kosten drastisch reduziert, ganz abgesehen vom Nutzen der dadurch gesteigerten Agilität. Als prominentes Beispiel lässt sich an der Coronapandemie aufzeigen, wie wichtig es sein kann, schnell auf einen Nachfrageanstieg reagieren zu können.

Auch am Bundeswehr-Krankenhaus Hamburg wird nach diesem Prinzip gearbeitet. Dort wird eine offene Werkstatt „OpenLab MedTec“ betrieben, um direkt vor Ort und in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten kostengünstige Alternativen und optimierte Patientenversorgungsstrategien zu entwickeln.
 

Regulatorische Hürden in Deutschland & EU

Die regulatorische Landschaft ist für die additive Fertigung speziell in der Medizintechnik noch nicht maßgeblich ausgeprägt, da es sich um ein recht neues Konzept handelt.
Am ehesten finden sich 3D gedruckte Hilfsmittel unter der in Artikel 2 Anh. XIII der Medical Device Regulation (EU) 2017/745 (MDR) genannten „Sonderanfertigung“ wieder, da es sich am ehesten um personalisierte Medizinprodukte handelt.

„[Der Begriff] „Sonderanfertigung“ bezeichnet ein Produkt, das speziell gemäß einer schriftlichen Verordnung einer aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Ausstellung von Verordnungen berechtigten Person angefertigt wird, die eigenverantwortlich die genaue Auslegung und die Merkmale des Produkts festlegt, das nur für einen einzigen Patienten bestimmt ist, um ausschließlich dessen individuellem Zustand und dessen individuellen Bedürfnissen zu entsprechen.

Serienmäßig hergestellte Produkte, die angepasst werden müssen, um den spezifischen Anforderungen eines berufsmäßigen Anwenders zu entsprechen, und Produkte, die gemäß den schriftlichen Verordnungen einer dazu berechtigten Person serienmäßig in industriellen Verfahren hergestellt werden, gelten jedoch nicht als Sonderanfertigungen.“ – MDR Art.2 Anh. XIII

Jedoch geht auch heraus, dass nur nach schriftlicher Festlegung durch eine „berechtigte Person“ mit entsprechender Qualifikation, welche die Merkmale festlegt und speziell an einen Patienten anpasst, von einer Sonderanfertigung gesprochen werden kann.
Dies trifft zum Großteil auf Produkte aus einem 3D-Druck Labor nicht zu. Des Weiteren werden industriell hergestellte Produkte sogar kategorisch ausgeschlossen und sind somit als ganz normale Medizinprodukte zu behandeln.

Da aus einem 3D Druckverfahren stammende Werkstücke in ihren Eigenschaften zu unterschiedlich sind und kaum mit traditionell gefertigten Objekten verglichen werden können, gibt es hier starken Nachholbedarf. Ebenfalls in den Regelungen der FDA gibt es noch keine klare Linie zum Umgang mit additiver Fertigung in der Medizintechnik, diese befinden sich gerade im Aufbau.
Für weitere Informationen zum Thema der Artikel der FDA über 3D-Druck: https://www.fda.gov/medical-devices/products-and-medical-procedures/3d-printing-medical-devices

Alles in Allem lässt sich noch keine befriedigende Richtlinie in den Normungswerken finden. Hersteller von additiv gefertigten Lösungen sollten am besten ein generell hohes Augenmerk auf lokal geltende Sicherheitsstandards legen, um Produkte aus dem 3D Drucker für die Patienten und Anwender nützlich und sicher zu gestalten.
 

Zukunftsausblick: Der Bio-3D Druck

Die aktuelle Einsatzbreite dieser Technologie ist bereits enorm, doch birgt sie auch ein enormes Zukunftspotenzial. Abgesehen von der besseren Integration dieser Technologie in den Alltag vieler Ärzte und behandelndem Personal gibt es noch viele weitere Felder, in welche die Technologie integriert werden kann.So gibt es die Sparte des Bio-3D-Drucks/Tissue Engineering, welche ebenfalls großes Potential bietet.

Unter anderem wird an der Universitätsklinik in Erlangen unter Leitung von Prof. Dr. Felix Engel an einer Methode geforscht (Fragestellungen des Labors), Herzmuskelzellen zu kontrahierenden Konstrukten mit einem speziellen 3D-Drucker zu formen. Dieser funktioniert ähnlich wie ein FDM-Drucker. Es kommt dabei allerdings eine viskose „Biotinte“ zum Einsatz, welche die nötigen strukturgebenden Elemente und die Herzmuskelzellen enthält. Im Anschluss erfolgt der Druck in ein Stützbad, in welchem die Biotinte aushärten kann.

Nach nur wenigen Tagen kann eine erste Kontraktion des Gewebes beobachtet werden. Die angestrebte Technik zielt darauf ab, abgestorbene Bereiche des Herzens zu ersetzen und somit eine „Heilung“ zu erzielen. In Zukunft könnte die Herstellung eines ganzen Herzens auf diese Weise möglich sein.

Schicht für Schicht baut der 3-D-Drucker das Gewebe auf, indem er die Biotinte mithilfe von Druckluft kontrolliert aus der Spritze herausdrückt. @Michael Rabenstein/Uniklinikum Erlangen

Es ist zu erwarten, dass sich diese Technologie auch auf andere Zelltypen anwenden lässt, beispielsweise auf Knorpel und andere schwer heilende Gewebstypen. Dadurch könnten auch diese Gewebe auf biologischem Wege ersetzt werden. Langfristig könnte dies Implantate aus Metall und Kunststoff ersetzen und somit eine zu 100% natürliche und körpernahe Alternative schaffen. Zudem ließen sich die damit einhergehenden Probleme von Knochenabbau durch Belastungsverschiebungen und die meist nötige Verabreichung von Immunsuppressiva verhindern.

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Autor

  • Thomas Muggenthaler

    Thomas hat seinen Bachelorabschluss in der biomedizinischen Technik und seinen Master in Medizintechnik an der FAU abgeschlossen. Bei MEDtech Ingenieur hat er sich vor allem auf die Entwicklung von Embedded-Systems und den 3D Druck in der Medizintechnik konzentriert.

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