Der EMV Testplan

Der Gesetzgeber stellt an alle elektrischen Geräte und Systeme eine Vielzahl von Anforderungen, die für eine erfolgreiche CE-Konformität erfüllt sein müssen. Ein Zulassungsprozess umfasst daher mindestens die drei großen Kapitel „elektrische Sicherheit“, „elektromagnetische Verträglichkeit (EMV)“ und „Restriction of Hazardous Substances (RoHS)“.

 

Die EMV-Konformität setzt sich dabei aus recht unterschiedlichen Tests zusammen, die eine definierte maximale Störaussendung und eine Mindeststörunempfindlichkeit gegenüber externen Störempfängern bzw. Störquellen – jeweils kabelgebunden oder durch elektromagnetische Felder – sicherstellen sollen. Der Aufbau des zu prüfenden Systems und die benötigten Messmittel im Prüflabor unterscheiden sich dabei mitunter recht wesentlich voneinander. Auch ein sicheres Verhalten bei elektrostatischer Entladung (ESD), die durch den Anwender beim Berühren des Systems unbeabsichtigt und unbemerkt erfolgen kann, ist ein wichtiger Teil der EMV-Tests.

 

In der Zusammenarbeit mit den akkreditierten EMV-Testhäuser hat sich bereits in der Vergangenheit ein „EMV Testplan“ bewährt, der die Vorgehensweise bei System- und Modultest klar definiert. Da die Testingenieure in EMV-Testhäusern in der Regel nicht an der Entwicklung des Produkts beteiligt sind und die Gedankengänge der Entwicklungsteams selten kennen dürften, stellt der EMV-Testplan sicher, dass alle Einzeltests wie gewünscht aufgebaut, durchgeführt, ausgewertet und dokumentiert werden können. Missverständnisse, die einen kostbaren Zeitverlust bedeuten könnten, oder regelmäßige Rücksprachen mit den verantwortlichen Entwicklern, werden so minimiert. Da die Reproduzierbarkeit bei EMV-Tests ohnehin oft schon sehr schwierig ist, hat man im EMV-Testplan die Möglichkeit den Test sehr detailliert zu beschreiben, damit es bei Wiederholungsprüfungen keine bösen Überraschungen gibt.

 

War der EMV-Testplan bis vor kurzem noch ein „geheimes“ Effizienz-Hilfsmittel aus meiner täglichen EMV-Praxis, wird er seit der 4. Ausgabe der IEC 60601-1-2 nun aber zwingend für alle Entwickler und Tester von medizinisch-elektrischen Geräten gefordert. Die Norm liefert dazu zwar kein Formblatt mit, listet in Anhang G aber alle empfohlenen Angaben des EMV-Testplans auf.

 

Im folgenden Artikel beschreibe ich meine „best practice“ für einen Testplan, um die Tests klarer, strukturierter, besser reproduzierbar und natürlich auch normgerecht durchführen zu können.

 

Inhalt des Testplans

 

Der Aufbau des Testplans ist grob an die Tabelle G der IEC 60601-1-2 angelehnt. Viele Kapitel kann man gut zusammenfassen, da sich dadurch die Struktur und die Verständlichkeit des Testplans verbessern. Die Kapitelnummern sind für eine bessere Übersicht jeweils aus der IEC 60601-1-2 übernommen.

 

1.) Prüflabor

Name, Anschrift und Kontaktdaten des EMV-Prüfhaus, in dem die Tests durchgeführt werden.

 

2.) Geräteaufbau und Zubehör

Auflistung des Zubehörs, das es für den Prüfling gibt:

Hier sollten alle elektrischen Zubehörteile und Kabel aufgelistet werden, zum Beispiel internationale Netzkabel oder alle Varianten von Patientenkabeln. Wenn der Prüfling aus mehreren elektrischen (evtl. auch nicht ME-Geräten) Komponenten besteht, selbst falls diese über Funk angebunden sind, sollten sie hier aufgelistet werden.

In diesem Kapitel wird festgelegt, welche der genannten Kabel für die Prüfung verwendet werden. Dies können z.B. nur ein bestimmtes Netzkabel oder die empfindlichsten Patientenkabelvarianten sein, da eine vollumfängliche Prüfung aller möglichen Varianten des Systems in den seltensten Fällen wirtschaftlich sinnvoll und technisch aussagefähig ist. Falls die Patientenkabel jedoch erhebliche Unterschiede aufweisen, sollte man sich durchaus überlegen mehrere Varianten zu testen oder zumindest nachvollziehbar begründen, weshalb man nur einen Teil der Kabel prüft.

 

In diesem Kapitel können auch die Inhalte der Kapitel 18 – 23 der Tabelle G angegeben werden, da diese Konfiguration sich normalerweise nicht über die verschiedenen EMV-Tests ändert. Falls dies bei einem oder mehreren Punkten doch den Fall sein sollte, können diese in Kapitel 12 einzeln für den jeweiligen Test beschrieben werden.

 

3.) Wesentliche Leistungsmerkmale und die Basissicherheit

Die wesentlichen Leistungsmerkmale sind der essenzielle Teil des Testplans, da hier beschrieben wird, welche Beeinflussung akzeptabel ist, oder eben nicht. Neben den wesentlichen Leistungsmerkmalen der Produktnormen, den Merkmalen der Basissicherheit, werden auch die zusätzlich definierten Leistungsmerkmale des Gerätes aufgeführt. Somit hat der Prüfer einen guten Überblick über alle Merkmale, die während der Tests überwacht werden müssen.

 

4.+5.+6.) Beschreibung des Prüflings

Der Prüfling soll möglichst genau beschrieben werden. Die Angabe von Versionsstand der Hard- und Software sind obligatorisch, auch eventuelle manuelle Modifikationen an einem Prüfling sollten dokumentiert werden. Auch die Seriennummer und zusätzliche Angaben, wie z. B. die exakte Höhe der Versorgungsspannung bei einem Weitbereichseingang oder spezielle Testbedingungen sollen darin festgehalten werden. Es soll auch definiert werden, wie viele Prüflinge getestet werden.

 

7.) Zweckbestimmung und vorhergesehene Umgebung

In diesem Kapitel wird die Zweckbestimmung angegeben und alle Umgebungen, in denen der Prüfling verwendet werden kann. Die Umgebungen sind professionelle und/oder häusliche Umgebung, es können aber auch zusätzliche spezielle Umgebungen sein. Die Umgebungen finden Sie im Kapitel 8.9.

Für Geräte (z.B. ein Blutdruckmessgerät) können sich unterschiedliche Anforderungen ergeben, wenn es z. B. während einer OP mit einem Elektrochirurgiegerät funktionieren soll, in häuslicher Umgebung verwendet wird, oder im Hubschrauber eingesetzt wird.

 

8.) Anwendbare Normen

Hier sollten alle Normen aufgeführt werden, die zu den Tests herangezogen werden. Das sind neben der EMV-Norm (IEC 60601-1-2) und evtl. zusätzlichen Umweltnormen wie z. B. für KFZ oder Luftfahrt, auch die anwendbaren Produktnormen, die zusätzliche Anforderungen oder Ausnahmen für den EMV-Test liefern. Aufgrund der doch relativ langen Übergangsfristen der Normen, sollte auch die jeweilige Ausgabe, auf die sich die Prüfungen beziehen, präzise dokumentiert werden.

 

9.) Abweichungen zu der EMV Basisnorm

In diesem Kapitel werden die Normen nochmals aufgelistet, welche Ausnahmen zu den EMV Basisnormen (IEC 61000-x-x-) bzw. der IEC 60601-1-2 enthalten. Dies sind überwiegend Produktnormen, die Abänderungen des Normaufbaus fordern, oder die PASS/FAIL-Kriterien definieren.

 

Optional: 10.) Anwendbare Prüfungen, die nicht durchgeführt werden.

Falls Tests nicht durchgeführt werden sollen oder müssen, sollte dies ebenfalls im Testplan dokumentiert werden. Auch die Begründung, weshalb ein Test nicht durchgeführt, sollte für den Testingenieur (und die Nachwelt) stichwortartig festgehalten werden.

(Auch in der technischen Dokumentation gilt die Elektroniker-Weisheit: Undefinierte Zustände sind schlechte Zustände :-P )

 

11.) Prüfbedingungen für besondere Umgebungen

Dieser Punkt wird bei den meisten Produkten nicht benötigt und würde, falls doch anwendbar, sicherlich nochmals einen ganzen Blogeintrag ergeben.

 

12.) Testbedingungen

In diesem Kapitel werden die Grenzwerte und die Testbedingungen aller Tests angegeben. Wenn sich eine höhere Prüfschärfe aus einer Norm ergibt, wird diese hier aufgeführt. Bei Störeinstrahlung sollte die Modulationsfrequenz und die 27.) Verweildauer angegeben werden.

Die Einschränkungen, z. B. welche SIP/SOPs (digitale Ein- und Ausgangsleitungen, z.B. USB) oder Patientenleitungen anders getestet werden, sollten hier beschrieben werden. In dem Kapitel sollten auch 16.) Eingangsspannungen und Frequenzen angegeben werden, da es durchaus sinnvoll sein kann mehrere Spannungen und/oder Frequenzen bei einem bestimmten Test zu überprüfen.

 

13.) Störfestigkeits-bezogene Kriterien hinsichtlich „bestanden/nicht-bestanden“

Die PASS/FAIL-Kriterien, die für eine Bewertung des Testergebnis notwendig sind, findet man in der IEC 60601-1-2 oder den jeweiligen Produktnormen. Weitere, selbst zu definierende Kriterien, können zudem aus dem Risikomanagement-Prozess heraus notwendig werden.

Man kann auch dieses Kapitel mit 3.) zusammenführen, da diese direkt mit den wesentlichen Leistungsmerkmalen verwandt sind. Es gibt auch je nach Test verschiedene PASS/FAIL-Kriterien für den jeweiligen Anwendungsteil oder das wesentliche Leistungsmerkmal. Die Kriterien sollten am besten eine Nummer oder Abkürzung bekommen, damit man sie direkt in den jeweiligen Tests (beschrieben in Kapitel 12) verlinken kann.

 

14.) Betriebsarten und Einstellungen

Hier sollte man alle Betriebsarten auflisten. Will man nicht alle Betriebsarten oder Modi testen, so sollte man seine Auswahl begründen. Aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen beschränkt man sich in der Praxis meist auf Modi, die als „worst-case“ (z.B. Volllast-Betrieb) angesehen werden oder in denen man möglichst alle Funktionalitäten (wesentliche Leistungsmerkmale, Kommunikation über Schnittstellen, Anzeigen, usw.) überwachen kann.

 

15.) Testaufbau

In diesem Kapitel sollte beschrieben werden, wie der Prüfling mit allen Anschlüssen und Simulatoren aufgebaut und terminiert wird. Man kann hier entscheiden, wie die Patientenleitung(en), Versorgungs- und SIP/SOP-Leitungen geführt werden sollen. Meist sind es die peripheren Leitungen, die erhebliche Auswirkungen auf das Testergebnis haben oder gar, bei Testdurchführung mit einem abweichenden Testaufbau, kaum reproduzierbare Ergebnisse zur Folge haben. Einfache Skizzen oder Fotos runden dieses Kapitel ab und vereinfachen dem Tester im Labor seine Arbeit.

 

24.) Dokumentation von zusätzlicher Hardware oder Software

Werden zusätzliche Geräte wie z.B. PCs, Patientensimulatoren oder spezielle EMV Prüfsoftware verwendet, kann das in diesem Kapitel dokumentiert werden. In meiner Praxis haben sich bereits Simulatoren namhafter Hersteller als nicht tauglich für EMV-Immunitätsmessungen entpuppt und eine ordentliche EMV-Messung unmöglich gemacht. Auch auf solche Hilfsmittel sollte man, bei bizarren Testergebnissen, stets ein prüfendes Auge haben.

 

25.) Einstellungen der Alarmgrenzen

Hier sollten die Default Alarmgrenzen festgehalten werden, damit der Prüfer diese bei Bedarf setzen und kontrollieren kann. Wenn bei einem Test ein Schwellwert bei 90% liegt, so könnte der Alarm bei einer Wiederholungsprüfung plötzlich anschlagen, wenn der Schwellwert diesmal ein anderer ist.

 

26.) Liste der geplanten ESD Testpunkte

In dem Kapitel kann man einige Bilder oder eine Zeichnung einfügen und darauf die Testpunkte für die elektrostatischen Entladungstests definieren. Luft- und Kontaktentladung kann man unterschiedlich farbig markieren. Alternativ kann man auch eine Liste verwenden, indem man die Prüfpunkte benennt. Da der Prüfer normalerweise nur geringe Systemkenntnisse hat, kann das aber unter Umständen zur Verwirrung führen.

 

Schlusswort

Die Praxis hat gezeigt, dass eine zeitnahe Übergabe des EMV-Testplans, der Gebrauchsanweisung und der Risikoanalyse an das EMV-Testhaus – selbst wenn diese Dokumente bisher nur im Entwurf vorliegen – eine zügige Testdurchführung ohne viele Rückfragen ermöglicht.

Der Testplan kann je nach Anzahl der anzuwendenden Normen und Anwendungsteile ein sehr umfangreiches Dokument werden. Wenn Sie regelmäßig Medizinprodukte zulassen, kann eine entsprechende Dokumentenvorlage mit Struktur, checklistenartiger Geräte-Klassifizierung und den benötigten Standard-Tests sehr zeitsparend sein.

Es empfiehlt sich zudem, den Testplan in englischer Sprache zu verfassen, da die EMV-Testhäuser üblicherweise einige Kapitel daraus direkt per copy & paste für ihre englischsprachigen Test Reports übernehmen.

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Autor

  • Jörg Weber

    Jörg Weber hat nach dem Studium der Elektrotechnik über 9 Jahre als Hardwareentwickler bei einem Entwicklungsdienstleister für Medizintechnik gearbeitet. In dieser Zeit hat er tiefe Einblicke in viele Bereiche der Medizintechnik gewonnen, angefangen von kardiovaskulären Monitoring- und Therapiegeräten, bis hin zu Geräten für Operationssäle oder zur Gasanalyse. Sein Hauptgebiet dabei war die elektromagnetische Verträglichkeit, speziell mit den zusätzlichen Anforderungen für Medizintechnik, KFZ und Luftfahrt. Ein weiteres Thema war die Architektur und Entwicklung komplexer Hardwaresysteme, mit mehreren Elektronik-Sub-Systemen. Seit 2018 ist er freiberuflich tätig im Bereich der Entwicklung von Medizinprodukten und unterstützt das Team von MEDtech-Ingenieur im Bereich EMV, HW-Design und HW-Architektur.

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